Es ist der 08. September 2018 und eigentlich wollten wir… ach herrjeh… Nein, eigentlich ist es egal was wir wollten. Ich kann mich an den ursprünglichen Plan kaum erinnern so viele „eigentlich wollten wir“ wie seitdem passiert sind. Ich stehe also mit meinem Fahrrad auf dem Fichtelberg. Tom steht mit seinem neben mir. Es ist Tag 2.
Tag 2
Was an Tag 1 passiert ist? Nun, nicht viel. Wir starteten regenbedingt eine Stunde verspätet (es regnet verdammtnochmal IMMER am ersten Tag), sind durch’s kohrener Land gerollt, haben einen kurzen Stop in Amerika eingelegt, Chemnitz so schnell wie möglich durchquert und am Ende am Greifensteinstollen auf einem Gastättentisch übernachtet.
~120km, knapp 1500hm und gute 6 Stunden Fahrt.
Es wird interessant
Wir starteten also an Tag 2 mit einem interessanten Ziel. Also, genauer gesagt 3 Zielen. Den Fichtelberg, Den Keilberg und den Pleßberg. Zuerst jedoch rollen wir durch Geyer und es trifft mich wie ein kleines Blitzlein: Hier war ich doch mal zur Klassenfahrt. Damals eine gefühlte Weltreise, heute eine schöne Tour mit dem Rad. So ändern sich die Perspektiven.
An der Zschopau entlang geht es durch Tannberg, Schlettau, Crottendorf usw. Kennt man irgendwie alle, obwohl man noch nie da war. Es geht immer mehr bergauf. Der Fichtelberg naht. Ich liebe ja Berge. Also mal so gar nicht. Obwohl, oben sein ist schon toll.
Tom fährt ein ganzes Stück vor mir und der Abstand wird immer größer als ich ihn eine Abzweigung verpassen und den Berg wieder hinunter rollen sehe. Verdammte Axt, ich muss ihm hinterher und rufe dass er anhalten soll. Scheint er gehört zu haben denn er rollt zum Glück nicht bis ganz nach Oberwiesenthal runter. Als ich ihn erreiche und sage dass wir „zurück“ müssen, wirkt er leicht genervt. Ich glaube ich halte ihn auf und das stört ihn. Auch wenn er das nie sagen würde. Wir kämpfen uns die letzten 150 Höhenmeter auf den Gipfel und genehmigen uns erstmal einen Kaffee bei der unfreundlichsten Bedienung seit langem. Naja, wo Touristen in Massen hinströmen, braucht es keine Freundlichkeit. Tagesziel 1 ist also geschafft.
rüber nach Tschechien
Um zum Keilberg (Klínovec) zu kommen, müssen wir zum Glück nicht allzu weit wieder runter und rauf. Nach einer 60km/h Abfahrt und einem 11km/h Anstieg sind wir nach 200hm auch schon auf oben. Total verrückt das alles ohne Schnee zu sehen. Sonst kommt man ja nur zum Wintersport hierher. Da es hier bis auf die grandiose Aussicht auch nicht sooo viel zu sehen gibt, rollen wir direkt weiter zum nächsten Ziel, und darauf freue ich mich schon den ganzen Tag. Mittagessen in der Günther Schänke in Boží Dar.
Jedes Mal wenn ich hier bin, gibt es erstmal eine Knobisuppe, und so auch heute. Jeder einen Teller Gulasch mit Knödeln und 2 große Radler dazu und trotz eines großzügigen Trinkgeldes, werden wir insgesamt nur 15€ ärmer. Verrückt diese Preise. Jetzt aber los, die Zeit rennt.
Am Boží Darer Torfmoor vorbei, geht es durch ein wunderschönes Hinterland, über ruhige Straßen und leere Schotterpisten bis zum Pleßberg (Plešivec) und damit zum dritten und letzten Berg des Tages. Bei der Abfahrt hab ich wohl irgendwie Mist geplant. Die Wege existieren teilweise nicht mehr und wir brauchen fast eine Stunde und einen Beinahesturz um wieder auf fahrbaren Boden zu stoßen.
Als wir in Karlsbad ankommen ist es fast 17 Uhr. Nach Sightseeing (was für eine hübsche Stadt) und Einkaufen schon nach 18 Uhr. Es ist wirklich schade dass wir nicht mehr Zeit für die Stadt haben aber bis zur angepeilten Schlafgegend sind es auch noch 20km und Schlafplatzsuche dauert manchmal überraschend lange. Und so geht es relativ zügig wieder aus der Stadt raus und zurück ins Hinterland.
Ich habe keine Ahnung wie die Städte heißen oder ob es überhaupt noch Orte sind oder nur noch Dörfer und Siedlungen. Irgendwo Nordöstlich von Karlsbad, an einem Weg der durch eine Apfelplantage führt, finden wir dann endlich einen Platz für die Nacht. Tom hätte direkt den erstbesten Platz genommen. Von uns beiden bin ich mit meiner Hängematte die Diva. Er schläft einfach auf dem Boden, egal wo. Aber was soll’s. Auf den zweiten Blick ist die Stelle gar nicht so übel, im Gegenteil. Schön abgelegen mit einem tollen Ausblick. Wir kochen uns noch was und ich spüle alles mit einem alkoholfreien Minze-Radler runter. Nie wieder habe ich seitdem ein so leckeres Radler getrunken. Gute Nacht.
nach Hause
Tag 3. Richtungswechsel. Ab heute geht es wieder nach Norden, gleich nochmal über’s Erzgebirge rüber. Als ich aufstehe ist es kalt – das Telefon sagt 12°C – und ich setze mich in den ersten, von der Sonne beschienenen Fleck um mich aufzuwärmen. Ich brauche definitiv einen besseren Schlafsack. Auf meinem steht zwar bis +6°C drauf, aber das ist die „nicht unterschreiten“ Temperatur. Komfort ist anders und ich bin eh ne kleine Mimose was Temperatur angeht.
Wir packen recht flott zusammen (d.h. Tom muss auf mich warten) und machen uns gegen halb 10 auf den Weg. Da hier alles eher dörflich besiedelt ist, gibt es keinen Kaffee und ich befürchte dass ich in Tschechien auch keinen mehr bekommen werde, denn nach nichtmal 3 Kilometern startet schon der Anstieg ins Erzgebirge. Die Überraschung ist jedoch groß als wir nach 5km Anstieg in einer Siedlung eine Pause machen.
Ein Carport unter das jemand ein paar alte Küchenbänke und einen Tisch gestellt hat. Oben dran ein Schild: „Saloon“. Naja, Humor haben sie ja hier. Aus der Garage gegenüber höre ich einen Kompressor und vermute einen Kaffeeautomaten. Kurz darauf kommt ein Tscheche mit 2 Bier in der Hand raus und ich muss mir das Lachen verkneifen. Er sieht uns, stutzt erst und fragt dann: „Koffi?“. Wir nicken beide energisch. Kaffeefilter gibt es keinen, also vorsichtig trinken.
Eine halbe Stunde sitzen wir bei unseren Gastgebern bevor wir uns an den restlichen Aufstieg machen und siehe da: 11:30 Uhr haben wir das Erzgebirge ein zweites Mal in 2 Tagen überquert.
Wir fahren am Fuß des Keilberges vorbei und besuchen in Oberwiesenthal noch eine Familie bei der Tom mit seinen Eltern früher Urlaub gemacht hat. Und obwohl das wohl schon 20 Jahre her ist und sie mich überhaupt noch nicht kennen, werden wir empfangen wie langjährige Freunde.
Der Rest der Rückfahrt ist recht ereignislos. In Crottendorf gibt es Burger zum späten Mittag und bei einem kleinen Umweg nach Zwönitz trifft sich Tom zu Kaffee und Kuchen mit einem ehemaligen Arbeitskollegen. Ich merke dass ich nach Hause will und schlage Tom vor heute direkt durchzuziehen, was er OK findet. Ich bin nicht verwundert. Hätte ich ihm vorgeschlagen nochmal über’s Erzgebirge zu fahren, hätte er wohl auch ja gesagt. Verrückter Typ.
Und so zieht mich Tom die restlichen 100 Kilometer von Zwönitz bis nach Leipzig zurück. Beide im „Kilometer machen“ Modus, immer im Unterlenker, den Kopf unten. Treten treten treten. Gesprochen wird nicht mehr allzu viel. 40 Kilometer vor Leipzig, kurz vor Altenburg, setzt die Dunkelheit ein und als wir gegen 21:45 Uhr zu Hause ankommen bin ich fix und alle. Die Nudeln mit denen uns meine Freundin empfängt sind die besten der Welt und in dem Moment das einzig richtige was meinem Körper passieren kann.
Hinterland – Fotos und ihre Geschichten
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