Hallöchen!
Es war „zwischen den Jahren“ 2023, der Link zur Ultra500 Webseite lag schon eine ganze Weile in meiner Lesezeichen-Symbolleiste rum und lachte mich immer mal wieder an. Eigentlich bin ich ja nicht der Typ der solche Veranstaltungen mitfährt, einfach weil ich mich grundsätzlich und egal in welchem Trainingszustand für eine Lusche halte und alle anderen die bei sowas mitfahren bestimmt und ganz sicher ausschließlich übermenschliche Maschinen sind. Der Fakt dass der Ultra500 aber fast vor meiner Haustür startet und ein kurzer Anfall von „Höhö, warum eigentlich nicht?“ lassen mich dann plötzlich das Anmeldeformular ausfüllen. Es soll in den Rennsteig gehen, 500km mit 5000 Höhenmetern mit 72 Stunden Zeitlimit. Zitat: „Der Gravelanteil wird um die 80% und größtenteils fahrbar sein.“ Mehr weiß ich noch nicht. Oh man …
Es gibt Berichte von den ersten beiden Ausführungen dieser Veranstaltung. Keiner davon ist besonders erfreulich. Brutal, anstrengend, katastrophale Streckenverhältnisse. Beim allerersten sollen es wohl überhaupt nur 2 Fahrer:innen geschafft haben. Na prima. Aber der Veranstalter wird ja wohl dazugelernt haben, denke ich mir.
Eine Woche vor Start kommt eine E-Mail mit Der Strecke als GPX und als Link zu einer Komoot Collection. Der GPX-Track hat eine Länge von 521km und ca 4600hm. Die Strecke auf Komoot hat 524km und 5600hm. Interessant. Ich finde bei Garmin Connect die zugehörige Veranstaltung mit inegrierter Strecke und füge diese meinem Kalender hinzu. In den nächsten Tagen wird diese Strecke noch 4 Mal aktualisiert und ist bis zum Start auch 524km lang. Infos dazu, warum oder was sich geändert hat gibt es nicht. Track bei Komoot
Start
Es ist Starttag. Um 9 soll es losgehen. 6:30 Uhr weckt mich der Regen. Es gießt wie aus Eimern. Freude. Da ich das Rad gestern schon gepackt habe und eigentlich alles komplett vorbereitet ist, kann ich in Ruhe mit der Familie frühstücken und den Regen abwarten. Auf den 300 Metern Fußweg zum Bäcker gibt meine Regenjacke schon auf. Es soll aber tatsächlich rechtzeitig aufhören. Gegen 8:30 Uhr, es nieselt nur noch, ziehe ich mir dann eine trockene Regenjacke über und rolle zum Start, der glücklicherweise nur 500 Meter von meiner Haustür entfernt ist. Ich hole meine Mütze und Tasse ab und telefoniere kurz mit Christoph, der mich die ersten 50km begleiten wollte, jetzt des Regens wegen etwas zweifelt, aber sich schließlich doch auf den Weg macht. Noch ein bisschen rum gucken, Eröffnungsrede von Mirko, dem Veranstalter, lauschen und dann gehts gegen 9:15 Uhr auch schon los. Christoph kommt erst 10 Minuten später an, wodurch wir direkt die letzten sind die losfahren. Mir isses egal, da bin ich niemandem im Weg. Die Sonne scheint.
Der Regen in der Nacht und am Morgen und das stürmische Wetter der letzten Tage hat Spuren hinterlassen. Die ersten 20 Kilometer sind eine Schlammschlacht mit Tragepassagen und überfluteten Wegen. Meine Füße sind nach 10k schon so nass dass ab da die Pfützen auch egal sind. Hauptsache der Daunenschlafsack in der Gabeltasche wird nicht nass. Nach 30 Kilometern machen Christoph und ich erstmal eine Kaffee- und Kuchenpause in Merseburg, so viel Luxus muss sein. Den ersten Sturz (Schlüsselbeinbruch) gab es unterwegs auch schon. Gute Besserung.
Bis zum Ende des Geiseltalsees ist es dann doch relativ entspannt. Christoph dreht hier ab und rollt locker mit Rückenwind zurück nach Leipzig. Für mich geht es ab hier erst richtig los: Schlammanstiege, Kopfsteipflaster, Wiesenwege und der Knaller wartet bei Nebra auf mich. Es geht auf den Mittelberg, den Fundort der Himmelsscheibe von Nebra. Der Anstieg startet mit Wiese, führt irgendwann in einen Wald und dann … Ja, was dann? Wo soll ich denn hier? Da soll ich hoch?! Da würde kein vernünftiger Mensch hoch wandern. Aber der Track geht eindeutig da hoch. Na dann los. 20 Minuten brauche ich für einen knappen Kilometer. Zwischendrin bekomme ich das Rad kaum weiter weil ich im schlammigen Waldboden mit den Schuhen keinen halt finde, es aber um die 20% nach oben geht. Kaum oben angekommen, geht es die gerade erkletterten Höhenmeter wieder runter, und zwar auf einem Weg der kaum als solcher zu erkennen ist. Fahrbar ist das genausowenig. Irgendwann hauts mich beim schieben(!) auf die Seite, ich falle über mein Rad und ramme mir den Lenker in den Oberschenkel. Warum es hier jetzt nochmal nach unten gehen musste um eh zum eigentlichen Berg wieder hoch zu fahren erschließt sich mir nicht und so langsam frage ich mich was an dieser Veranstaltung eigentlich „Gravel“ sein soll. Oben auf dem Berg mache ich 10 Minuten Pause um was zu essen. Eigentlich bin ich hier schon durch.
Die Abfahrt gestaltet sich nicht viel angenehmer, wieder ein Bergabschiebestück bei dem ich mir sicher bin dass es einen besseren Weg gegeben hätte. Aber das scheint das konzept zu sein. Es geht hier nicht um die Distanz oder die Höhnmeter, es geht ums Aushalten und um leiden.
Also gescoutet ist da nix.
Auf den nächsten 10 Kilometern fühle ich mich wie ausgespuckt. Es ist fast 15 Uhr und ich hatte noch nichts zum Mittag. Seit dem Kuchen in Merseburg halte ich mich mit Nüssen und Gummibärchen über Wasser. Vor einer Streckenfehlplanung kann ich 2 andere Fahrer noch rechtzeitig bewahren und bei einer weiteren bergab-Schiebepassage schließe ich zu ihnen auf. Man scheint mir anzusehen dass ich durch bin denn einer der beiden (danke Kamel) weißt mich auf einen nicht im Roadbook verzeichneten Supermarkt hin den wir alle anfahren und an dem auch schon einige Fahrer gelandet sind. Endllich essen.
Wir sind hier gerade mal bei 91 Kilometern. Mein Plan, heute Eisenach zu erreichen (200km) und die ersten paar Kilometer im Rennsteig zu fahren ist jetzt schon gescheitert. Ich höre vielen Gesprächen zu und der Grundtenor geht eher in Richtung Unverständis über die Streckenplanung, um es freundlich auszudrücken. Aus dem Gedächtnis:
- „Ich wusste dass es hart werden soll, aber das ist einfach Schwachsinn.“
- „Also gescoutet ist da nix.“
- „Das hat mit Gravel ja mal garnix zu tun.“
- usw.
Ich habe mittlerweile gegessen und fahre weiter. Auf einem Stück Landstraße geht es plötzlich halb rechts ab und einen Wiesenweg steil nach oben, objektiv nicht fahrbar. Ich checke kurz auf dem Garmin und sehe dass dieser Weg in ein paar hundert Metern wieder auf die Landstraße zurück führt. Ich schüttle kurz mit dem Kopf und fahre weiter Asphalt, da gehts auch steil genug bergauf. Die Fahrer hinter mir tun es mir gleich. Es geht jetzt über die „Hohe Schrecke“ und danach bleibt es für etwa 30 Kilometer erstmal relativ flach. Hier haut der Gegenwind, der schon den ganzen Tag bläst, so richtig rein und zieht auch noch die letzten Kraftreserven aus den Beinen.
Es ergibt sich dass ich mit Bastian zusammen fahre. Er wollte eigentlich auch noch bis Eisenach fahren (alle wollten das, viele haben das auch geschafft) zweifelt aber auch langsam. Am nächsten Anstieg (Wiese, unfahrbar) beschließe ich bei nächster Gelegenheit nach einem Gasthof an der Strecke zu suchen und dort noch eine Paus bei einem kühlen Getränk zu machen und danach einen Schlafplatz zu suchen. Bastian ist dabi, will aber vielleicht danach noch weiter fahren. Fast 30 Minuten brauchen wir für die 2km Wiesenanstieg.
Der Gasthof liegt in Molschleben, aus dem Kaltgetränk wird ein Burger mit Kaltgetränk und irgendwann fragt Bastian die Kellnerin: „Haben Sie eigentlich auch Zimmer?“ – „Ja, 60€ pro Nacht“ ist die Antwort und obwohl wir nächsten 10 Minuten noch beraten ob wir jetzt hierbleiben wollen, war es zu diesem Zeitpunkt schon entschieden. Essen, Trinken, Dusche, Bett.
Einschlafen dauert lange. Bastian, der nicht schnarcht, schnarcht dann doch ein bisschen. Nachts um 3 legt die Dorfsirene los die auf dem Nachbardach zu stehen scheint, und 10 Minuten später tatütatat die Feuerwehr in voller Lautstärke vor dem offenen Fenster vorbei. Die Dorfjugend macht es sich gegen halb 5 auf dem Dorfplatz gemütlich und scheint einen Kitzelwetbewerb(?!) durchzuführen. („IIIHIHIHI, HÖR AUF, NEIN!“) Dann klingelt auch schon der Wecker.
Tag 2
Ich merke beim Aufstehen schon dass ich durch bin. Aiaiaiaiai, was soll das werden? Erstmal kultivieren, zusammenpacken und losrollen. Kurz nach 6 sitzen wir wieder auf unseren Rädern. Die Strecke bis Eisenach ist überraschend asphaltlastig und rollt wahnsinnig gut weg. Wir kreiseln sogar um uns Windschatten zu geben und schaffen die 35 Kilometer bis zum Ortseingang und damit zum ersten Kaffee in etwa 1,5 Stunden. Bastian bekommt eine Sprachnachricht von einem der Fahrer die es gestern bis in den Rennsteig geschafft haben. Ich höre mit und denke mir schon nach 10 Sekunden: „Spaß hat er auch schon lange keinen mehr“. Bastians Kommentar nachdem die Nachricht zu Ende ist: „Seine Stimme, so… mental gebrochen.“
Es soll also nicht viel besser werden. Ich fühle in meine Beine hinein, denke an die 3500 Höhenmeter und 160km die jetzt vor mir liegen und entscheide dass ich lieber hier in den Zug steige. Bis zur Wartburg fahre ich noch mit hoch, jetzt bin ich einmal hier, aber danach drehe ich um. Ich könnte es versuchen und noch 100km fahren aber spätestens dann wäre es vorbei und die Zugverbindungen von dort sind unterirdisch. DNF.
Auf der Wartburg machen wir mit 2 anderen Fahrer:innen noch eine Pause und verabschieden uns dann. Bastian fährt tatsächlich noch 200km an diesem Tag, muss dann an Tag 3 aber auch abbrechen. Stark Junge! Ich fahre wieder runter, setze mich in den Zug und habe keinerlei schlechtes Gewissen dabei.
Nachtrag
Ein paar Worte noch im Nachgang zu dieser Veranstaltung. Der Ultra500 soll eine unsupportet Graveltour sein. Wofür das „Ultra“ im Namen steht, ist nicht genauer erklärt, die meisten (so auch ich) werden vermuten dass damit die Distanz und die Höhenmeter gemeint sind. Nun, dem ist offensichtlich nicht so. Dass man das dann aber besser kommunizieren sollte, hat wohl auch der Veranstalter gemerkt denn einige haben ihre Beschwerden auch etwas öffentlicher kund getan. Was macht der Veranstalter? „Entschuldigt“ sich in seiner Recap-Mail dafür, dass beim Upload der Strecke wohl Komoot etwas umgeplant hat (zur Erinnerung, ich hatte den mehrfach aktualisierten Track von Garmin) und legt mit „Seid euch bitte dennoch bewusst, dass es nicht 500km gucci Gravel sind.“ und „Wenn es jeder schafft, dann war es kein ultra500. Sorry for that.“ nochmal ordentlich nach. Naja, ich weiß ja nicht.
Ja, mir war das einfach zu hart. Nennt mich Weichei! Kann ich mit leben. Aber mir nach einem Tag Fahrrad bergauf und bergab tragen durch Matsch und Wiesenwege (die wären auch ohne das Wetter nicht besser gewesen) bei einer GRAVEL Veranstaltung noch sagen lassen zu müssen, es sei halt kein Gucci-Gravel „Sorry for that.“, halte ich schlicht für ne Frechheit.
Am Ende bleibt eine offene Rechnung mit dem Rennsteig. Vielleicht fahre ich demnächst mal mit dem Zug nach Eisenach und nehme das in Angriff. Die Strecke plane ich mir aber lieber selbst.