Man kennt das. Aus purer Blödelei oder situationsbedingtem Überschwang lässt man einen unüberlegten Satz fallen, den man einfach nicht wieder in den Mund zurück bekommt, egal wie sehr man es auch versucht. Der folgenreichste Ausrutscher dieser Art (jedenfalls 2017) war bei mir wohl:
Der September Gran Fondo führt AUF DEN BROCKEN!
Oh verdammt. Was hab‘ ich da nur angerichtet? Konnte ja niemand damit rechnen dass die Kollegen das ernst nehmen. Ein paar Tage später haben sich jedenfalls schon Mitfahrer angemeldet und ich wage es mal vorsichtig auf die Karte zu gucken wie weit das überhaupt ist. OK, das Ding ist knapp 1200 Meter hoch und etwa 130 Kilometer von Leipzig weg. Klingt anstrengend aber machbar? Schon, aber nach 130km fängt der Berg auch erst an. Alles vorher sind nur lächerliche Hügel. Und nach Hause muss man ja auch irgendwie kommen. Die fertig geplante Tour umfasst am Ende Gute 200 Kilometer und locker über 2000 Höhenmeter… OK, ich werde also sterben.
Es ist Sonntag der 17. September 2017. Der Wecker klingelt 5:15 Uhr. Es hat gerade mal 6°C und außer mir sind heute Rico, Stefan und die mir noch unbekannten Frank und Markus dabei. Am Treffpunkt verzögert sich alles ein wenig, Stefan hat verschlafen und so bleibt Zeit sich kennenzulernen. Frank macht direkt mal klar wo der Hase lang läuft: „Macht ihr bei sowas eigentlich Pausen oder fahrt ihr das durch?“ Mein Gesicht schläft ein. Als ich mich mit lautem Lachen wieder sammle und mit „Was?? Na klar machen wir da Pausen!“ antworte, lockert Franks Augenrollen die Situation nicht unbedingt auf. Das wird super.
Kurz bevor wir losrollen machen wir noch aus dass an der ersten, verfügbaren Tankstelle ein Kaffee-Notstop eingeleitet wird, womit auch alle einverstanden sind. Es geht super ruhig an der Luppe entlang aus Leipzig raus, durch Halle durch und weiter in Richtung Mansfelder Land. Keine Tankstelle. Keine Pause. 30er Schnitt, Minimum. Das halte ich niemals durch. Bei Kilometer 70(!!) nähern wir uns auf einer Landstraße dann endlich einer Kaffeequelle. Ich biege in die Einfahrt ein, ob die anderen das auch tun ist mir gerade egal. Sie tun es. Zeit um meinen Standpunkt klar zu machen.
Jungs, bitte fahrt ab hier alleine weiter!
„Ach Quatsch!“, „Unsinn“, „Hör doch auf!“ und „Du packst das schon“ sind in etwa die Reaktionen. Aber ich bin realistisch. Ich kann entweder diesen Schnitt weiter, oder am Ende den Brocken hoch fahren. Letzteres ist mein Plan. Ich fahre doch nicht bis dort hin und lass dann den Berg aus. Hallo?! Und dann bekomme ich sie zu hören, die zwei größten Lügen der Radfahrer: „Dann fahren wir jetzt langsamer.“ und „Nein, das macht uns nix aus.“ Ich falle darauf rein. Wiedermal.
Nach 10 Minuten mit etwa 27km/h sind wir schon wieder bei 33 und ich falle schon zurück. Die Jungs merken das irgendwann, warten und wir fahren wieder ein Stück zusammen. Es wiederholt sich. Mitleid habe ich schon längst keins mehr. Ich wollte genau das vermeiden und alleine weiterfahren, wollten sie nicht, Pech gehabt! Nehmt das!
Kilometer 135 – Der Anstieg nach Almsfeld. Zum ersten mal macht sich so richtig bemerkbar dass man sowas mit einem Aero Rennrad nicht angehen sollte. Nach etwa 500 Metern brutalem Anstieg auf eine viel befahrenen Bundesstraße, drehe ich um 90 Grad ab und fahre auf den Grünstreifen. Der einzige der es merkt ist Markus. Er fährt hinter mir und hält mit an. Ich gehe ihn viel härter an als ich eigentlich wollte und sage er soll weiterfahren. Dann fummle ich mir einen Riegel aus dem Rucksack und mache erst mal 10 Minuten Pause. Als ich dann „oben“ ankomme, stehen sie alle da und warten. Sie sind genervt, ich bin genervt und das hat jetzt ein Ende. „Ich fahre erst weiter wenn ihr weg seid. Wir sehen uns oben.“ – Kurze Diskussionsversuche aber ein paar Minuten später fahre ich alleine weiter. Jedenfalls bis ich mir im „Rübeland“ erstmal eine Bockwurst im Brötchen und eine Cola gönne. Nach mittlerweile fast 8 Stunden und 145 Kilometern sind die Akkus einfach leer.
Weiter geht’s. An der Kreuzung beim Bahnhof Drei Annen Hohne fällt die Entscheidung. Rechts geht es bis nach Wernigerode nur noch bergab (und zum Zug nach Hause), links zum Brocken hoch. Ich bin zwar schon auf etwa 500 Meter Höhe, aber der Berg an sich fehlt ja noch. Keine halben Sachen, links rum! Und die Qual beginnt. Schierke fliegt mit 22km/h quasi an mir vorbei und die Brockenbahn freut sich pfeifend mit mir. Was dann folgt ist für den Leser dann doch eher unspektakulär. Bergauf bergauf bergauf bergauf bergauf bergauf bergauf bergauf Tannen bergauf Kurve bergauf bergauf Kurve. Zwischendurch muss ich ein paar mal schieben weil mir 13-14% Steigung doch nicht so leicht aus den Beinen rieseln und ich mit der kleinsten Übersetzung mindestens 12 km/h fahren muss um nicht umzufallen. Mit’m Aero Rad den Brocken hoch. Wie doof kann man eigentlich sein? Eine knappe Stunde brauche ich, dann werden die Touristen mehr und die Antenne kommt in Sichtweite. Ich schaffe es. Ich schaffe es tatsächlich! Oh verdammt, gleich bin ich oben!
Die Kurve an der Wetterschutzhütte ist brutal, noch mal links, dann die letzte Kurve. Einige Touristen grinsen mich an. Wahrscheinlich weil ich selber grinse wie eine 12er-Packung Hohnigkuchenpferde. Ich sehe den Gipfelfelsen und da stehen sie, die ganze Bande. Das habt ihr nicht mehr erwartet, was? Haha! Ich lache ihn allen ins Gesicht und sie lachen zurück. „DER SCHEISS BROCKEN IST UNTER MIR“ schreit jemand mit meiner Stimme. Marcus ist total erschrocken. Aber nicht wegen des Geschreis, sondern weil er selber erst vor einer Minute oben angekommen ist, wie er sagt. Was so ne Bockwurst doch ausmacht. Dann noch schnell die obligatorischen Fotos… viele davon… SEHR viele… und schnell wieder runter. Hier oben ist es so kalt wie heute morgen als wir losgefahren sind, 6°C.
Die Abfahrt ist super. Ich bremse nur damit mir mein Gesicht nicht einfriert. Gerade mal 62km/h max. Hat sich im Nachhinein schneller angefühlt. Nach einer kurzen Pause in Schierke zum sammeln und aufwärmen, geht es die restlichen 20 Kilometer bis Wernigerode weiter bergab. Was anderes hätte ich auch gar nicht mehr geschafft. Der Rest ist schnell erzählt: Bahnhof suchen, auf Zug warten, Kuchen futtern und ab nach Hause. Das mache ich so schnell nicht noch mal.
David
Oh, wow, für die Strecke würden wir uns wohl mehr Zeit lassen. 😉 Grüße aus der Nachbarschaft! David
Ringo
Ich bin mir auch nicht ganz sicher ob ich das so noch mal fahren würde.