Es ist nach 22 Uhr, ich war etwa 14 Stunden unterwegs bis ich hier gelandet bin. Ich bin völlig fertig. Es ist stockfinster, aber das Haus ist voll beleuchtet. Die Tür knarrt als ich sie aufdrücke, eine Klingel gibt es nicht und ich rechne jeden Moment damit dass mich jemand fragt was mir einfällt einfach in wildfremde Häuser zu schleichen, doch nichts, niemand. Ich stehe in einer Art Aufenthaltsraum oder Wohnzimmer. Steinfußboden, Holzofen, Standuhren und Möbel aus dem vorletzten Jahrhundert, Tierköpfe an den Wänden, alles in schummriges Licht gehüllt, aber kein Mensch zu sehen. An der Tür links klebt ein Schild: „Büro“. Ich klopfe und ein völlig deplaziert wirkendes, lautes und fröhliches „JAHAA“ schallt mir entgegen. Ich öffne die Tür und alles ändert sich. Innerhalb von Minuten ist meine Verzweiflung dahin. Vor mir steht eine Kanne Tee und um mich rum reden alle Dänisch obwohl ich mir ziemlich sicher bin mich in irgendwo Mecklenburg zu befinden. Noch vor 30 Minuten hätte ich mich fast mit dem Schlafsack neben die Landstraße gelegt, auf das Beste gehofft und versucht irgendwie Schlaf zu bekommen, und jetzt bin ich umringt von den nettesten Menschen die ich mir im Moment nur vorstellen kann.
Ich bin mit dem Rad unterwegs von Leipzig nach Rügen. Dank genügend Urlaub und dem Luxus nicht zu wissen was ich damit anfangen soll, habe ich auch keinen Zeitdruck. Schweden ist von Rügen nur eine Fährfahrt entfernt und Malmö eine der radfreundlichsten Städte der Welt. Und wenn man einmal dort ist, könnte man auch gleich ins Zentrum des Radverkehrs übersetzen und sich Kopenhagen anschauen. Dort zu fahren hat mich schon lange gereizt. Überhaupt will ich mehr mit dem Rad unterwegs sein, nur hat sich seit meiner Mecklenburg-Tour mit Maik niemand wieder gefunden der bei sowas mitmacht und das ist nun auch schon wieder 3 Jahre her. Immer kommt das „keine Zeit“ Argument, was in Wirklichkeit „Ich mache da lieber was anderes“ bedeutet und immer hatte ich zu viel Angst dann alleine zu fahren. Aber diesmal nicht, dann mach ich es halt alleine.
Was braucht man für sowas eigentlich? Und wie lange bin ich da unterwegs? Und wo soll ich schlafen? Ich wusste nur dass ich nicht wieder mit Gepäckträger und Packtaschen drauf fahren wollte, das muss auch anders gehen. In kurz: Ich renne dem Bikepacking Trend hinterher, kaufe eine 14 Liter Satteltasche, eine 8 Liter Lenkerhalterung und spontan einen kleinen 10 Liter Rucksack für alles was man mehrmals am Tag braucht. Da alles was ich mitnehmen will in diese Taschen passen soll, kommt ein Zelt nicht in Frage. (ich will ja auch nicht gleich ein ganzes Monatsgehalt ausgeben) Immer in Hostels oder Pensionen übernachten will ich aber auch nicht. Bleibt noch die Möglichkeit einer Hängematte. Wie sich bei einer Testübernachtung an der Elbe zeigt, brauche ich noch eine Isomatte. Diese also auch noch besorgt und dann sollte ich alles haben.
Etappe 1 | Leipzig – Elbe
Und dann ist irgendwann alles gekauft, alles gepackt, die Strecke geplant, 3 Wochen Urlaub genommen und dieses Gefühl im Magen wieder da. Natürlich wissen zu dem Zeitpunkt schon viel zu viele Leute von der Sache um sich einfach wieder aufs Sofa zu setzen und so zu tun als hätte man das ganze nie vorgehabt. Es ist also Sonntagmorgen, der Starttag, und bevor ich die Augen öffne, höre ich schon den Regen.
Ach was, bis zur Abfahrt wird der sich schon verzogen haben. Erstmal Frühstück mit Schatzi. Das wird schon. Und dann stehe ich doch gegen halb 10 in Regenjacke vor der Haustür und posiere für das Startfoto. Zum Glück nieselt es nur noch ganz leicht. Könnte schlimmer sein.
Patrick begleitet mich die ersten 40 Kilometer bis Bitterfeld, was für meine Motivation wohl sehr hilfreich war. Danke nochmal dafür. Von da an geht es dann wirklich alleine und recht unspektakulär weiter. In Dessau gibt’s Bratwurst und mein Abendessen hole ich mir an einer Autobahnraststätte bei Magdeburg. (Autohof Theeßen) – Moment mal, Magdeburg? Bin ich tatsächlich schon so weit gekommen? Mehr aus Spaß hatte ich mir gesagt „Alles über 130 Kilometer ist Bonus“, aber dass ich die jetzt wirklich schon geschafft habe, überrascht mich doch. Wird Zeit nach einem Nachtlager zu suchen. 30 Kilometer weiter führt mich mein Weg wieder direkt zur Elbe und in einem kleinen Ort finde ich zwischen Einfamilienhäusern und Fluss eine Art Rastplatz mit Tisch und Bänken, direkt in der Nähe eines kleinen Wäldchens. Perfekt für meine Hängematte. Einer der Hausbewohner, ein älterer Herr, kommt kurz vor Sonnenuntergang noch mal raus, ob er mich bemerkt hatte weiß ich nicht, und zur Sicherheit frage ich ihn ob sich hier wohl irgendwer gestört fühlen würde wenn ich mich über Nacht in die Bäume hänge, was er glücklicherweise verneint. Ich schaue mir noch den Sonnenuntergang an und versuche dann noch etwas zu lesen und zu schlafen.
Etappe 2 | Rettung in Rensow
Sonnig aber irgendwie seltsam beginnt der zweite Tag. Geschlafen habe ich gefühlt überhaupt nicht dank einiger Hunde in der Umgebung und überraschend lauter Mücken. Kurz nach 8 habe ich alles zusammengepackt und sämtliches Getier aus meinem Rucksack entfernt (Pro-Tipp: Rucksack über Nacht nicht auf Waldboden liegen lassen!), schwinge mich auf’s Rad und beginne die Suche nach Kaffee. Den bekomme ich schon nach gerade mal 30 Minuten Elberadweg bei einem Netto-Bäcker in Jerichow. Bei einem netten Gespräch werde ich allerdings gewarnt besagten Radweg nicht weiter zu fahren, da er durch Bauarbeiten komplett gesperrt ist. Das merke ich dann auch als ich bis zur Baustelle ran gefahren bin und 3 Kilometer zurück muss. Das entsprechende Schild finde ich dann auch.
Es läuft irgendwie nicht. Das Wetter ist super, die Kilometer purzeln, die Leute sind nett, und trotzdem ist die Laune so-lala. Ist das schon das Tief mit dem ich rechne? Mittags habe ich etwa 70 Kilometer hinter mir, finde aber nix was mir zusagt und so dauert es noch bis ich mir schließlich irgendwo einen Döner hole. Über Kemnitz und Brügge geht es recht unspektakulär bis zur Landesgrenze von Mecklenburg-Vorpommern und kurz danach zu einem erfrischenden Bad in Plau am See. Damit sind dann auch schon wieder 140 Kilometer geschafft und die Schlafplatzsuche beginnt. Im nächsten Supermarkt noch das Wasser in Flaschen und Trinkblase auffüllen, ein wenig Obst und ein Radler für’s Abendbrot gekauft und die Schlafplatzsuche kann beginnen.
Was ich heute Abend lerne ist: Streckenplanung. Denn nach Plau Am See kommt irgendwie nix mehr. Lauter kleine Orte und Dörfer die auf ow enden, aber nix wo ich eine Pension oder ein Zimmer finden könnte. Die zweite Nacht werde ich wohl also auch draußen verbringen obwohl mir eine Dusche sehr lieb wäre. Das Problem ist nur, ich finde nichts. Bei einigen Pensionen habe ich angerufen, eine lachte mich sogar aus als ich nach einem Zimmer fragte. Also weiter. Irgendwann muss ich Licht am Rad anbringen und mit der kommenden Dunkelheit schwinden die Chancen noch einen geeigneten Schlafplatz draußen zu finden. Mittlerweile bin ich auch total fertig. Mehr als 15 km/h schaffe ich nicht mehr und mein Kopf will genauso wenig weiter wie meine Oberschenkel. Ich hangle mich von Ort zu Ort und halte mich wach mit: „Im nächsten Ort findet sich schon was“ und werde immer verzweifelter. Meine Freundin, die mich über Google Maps verfolgt, macht sich immer mehr Sorgen und schreibt eine Nachricht nach der anderen. Als ich sie anrufe um sie zu beruhigen, bin ich überrascht wie ruhig ich selbst dabei klinge, denn wohl fühle ich mich ganz und gar nicht mehr.
Irgendwann sehe ich ein rotes Licht auf der Straße vor mir. Ein Fahrrad. Nach gefühlten 10 Minuten habe ich es dann auch eingeholt. Glücklicherweise beginnt er das Gespräch mit „Ey! Wat fährste hier so snell im dunkeln?“, denn ob ich ihn angesprochen hätte weiß ich nicht. Ich erkläre ihm meine Situation und er kommentiert mit „Ich hab ne Idee. Komm mit!“. Ich folge also irgendeinem Typen den ich nicht kenne und noch nicht mal sehen kann durch die Nacht zu einem mir unbekannten Ort. Was macht man nicht alles nach 200+ Kilometern. „Siehste das hell beleuchtete Haus da vorne? Da fährste hin und gehst einfach rein! Ich bieg hier ab, muss ins Bett. Gut Nacht!“ – Ich rufe ein schnelles „Daaanke“ hinterher und weg war er.
Und so lande ich bei den Dänen aus dem ersten Absatz. Meinen Rettern in der Not. Meinen Helden des Tages. Den momentan nettesten Menschen auf der Welt. Der erste den ich von der lustigen Truppe kennenlerne ist Knut. Ich habe ihm kaum meine Situation erklärt, den letzten Satz noch nichtmal zu Ende gesprochen, schon ruft er seiner Frau, Christina, zu eine Kanne Tee anzusetzen und verfrachtet mich ins Nebenzimmer an einen riesigen, hölzernen Esstisch. Keine 30 Minuten später sind wir zu sechst, die zweite Flasche Wein ist offen und ich bekomme eine komplette Wohnung mit Dusche, 2 Schlafzimmern und wasnichtnochalles. Nichtmal Geld wollen sie haben. Ich befinde mich im Gutshaus Rensow, einem Jahrhunderte alten Gutshaus welches von Knut und Christina gekauft wurde und nun nach und nach wieder vorzeigbar gemacht wird. Eine der 4 Ferienwohnungen wurde von der Mieterin einen Tag eher verlassen, ist noch nicht wieder hergerichtet und ich darf die Nacht darin verbringen. Christina stammt aus Dänemark und die beiden sind vor wenigen Stunden erst aus Kopenhagen zurück. Wir sitzen noch bis nach Mitternacht mit den, ebenfalls dänischen, Au-Pairs und unterhalten uns über das Haus, Reisen und Zufälle. Und zu (glücklichen) Zufällen habe ich an diesem Abend eine Menge zu berichten.
Etappe 3 | Rügen
Meine Güte hab ich gut geschlafen. Gerade mal kurz nach halb 8 und ich bin schon wieder wach. Und das obwohl wir doch gestern Abend noch so lange saßen. Duschen, ein Paar Klamotten waschen, die Akkupacks laden, usw. Das frisst alles Zeit. Vor halb 2 war ich garantiert nicht im Bett. Und doch kitzelt die Sonne mein zartes Näschen bereits, also nix wie raus aus den Federn und packen. Draußen ist nur das Au-Pair bereits wach und begrüßt mich mit Kaffee. Der Tag beginnt wie der letzte geendet hat, großartig. Ich würde gerne warten bis die anderen aufstehen um mich noch mal zu bedanken, aber ich muss los und bitte das Au-Pair dies für mich zu tun. Nachdem alles gepackt und wieder am Rad befestigt ist, lasse ich noch etwas Geld liegen und schwinge mich gegen 9 wieder auf’s Rad.
Alles ist ruhig. Die Straßen verbinden weiterhin kleine „Ow“-Dörfer miteinander und hauptsächlich begenet mir landwirtschaftlicher Verkehr. Alles abseits der Landstraßen ist mies, richtig mies. Plattenstraßen aus Soviet-Zeiten mies. Freude macht sich keine breit und es dauert 30 Kilometer bis zum nächsten größeren Ort der für mich endlich Kaffee bedeutet.
Das Drama von gestern Abend wird nun zu meinem Glück. Mein Teilziel ist nämlich durch die lange Strecke letzten Etappe bereits einen Tag früher in erreichbare Entfernung gerückt. Es sind „nur“ noch an die 130 Kilometer bis zum Kap Arkona und 150 bis zum Ferienhaus in dem meine Freundin gestern angekommen ist und auf mich wartet. Vor einer Woche wäre das ein harter Brocken an Ausfahrt gewesen, seit gestern kein Problem mehr. So schnell ändert sich die Perspektive. Ich frage die Bäckereifachverkäuferin die mir meinen Kaffee und ein Stück Kuchen reicht wie weit es noch bis Stralsund ist und sie schaut mich sehr ungläubig an. Nach Rückfrage an den Kunden neben mir ist sie sich sicher: „um die 40 Kilometer“. Ich grinse und kann mir ein „Super, Mittag auf Rügen“ nicht verkneifen.
Und dann kommt sie in Sicht, die „neue“ Rügenbrücke über die ich nicht rüber darf. Ich begnüge mich mit dem Rügendamm, mache natürlich noch anständig Fotos, und ab Sekunde 1 auf Rügen, schlägt mir fieser Gegenwind ins Gesicht welcher fast bis zum Kap anhält. Die restlichen 60 Kilometer bis dorthin werden mich 3 anstrengende Stunden kosten. Auch wenn ich abseits der Hauptverkehrsrouten fahre, kenne ich doch den Weg ein wenig und freue mich schon auf die Fährüberfahrt bei Wittow. Nicht zuletzt weil ich von dort den Rest komplett ohne Navi fahren kann. Alles fühlt sich irgendwie wie zu Hause an. Einfach super.
Der letzte Anstieg, den Touristen ausweichend über das Kopfsteipflaster poltern, den Leuchturm im Blick, Selfie machen, Fahrrad anschließen, Radler bestellen, grinsen. Ich bin da! Heilige Sch***e, ich bin da. Schon beim zweiten Schluck fange ich an zu rechnen. Das dürften jetzt schon um die 500km sein. In 3 Tagen. Hammer! Eine Nachricht an Schatzi dass ich gleich da bin, austrinken und auf geht’s zum gemütlichen Teil. Der Weg über Vitt ist zwar für beladene Fahrräder eher Mist, muss aber sein. Alleine schon für das Foto am Hafen in Vitt mit den Kreidefelsen vom Kap im Hintergrund. Von dort dann über Juliusruh, Breege und Lobkevitz nach Kammin. Schatzi kommt mir die letzten 500 Meter Plattenstraße entgegen gefahren und ich freue mich riesig darüber.
Ich rolle durch’s Tor, das Rad fällt um, mein Trikot fliegt weg und alles liegt, genau wie ich, auf der Wiese verstreut. Jetzt erstmal Urlaub.
Pause
Etappe 4 | Malmö
Zwei Tage Pause sind vorbeigezogen wie nichts. Heute ist Abreisetag. Meine Freundin fährt mit ihrem Bruder zurück nach Leipzig und ich mache mich auf nach Schweden. Die Stimmung könnte besser sein, denn so richtig will keine Vorfreude aufkommen. Was ist da los? Jetzt schon keine Lust mehr? Ich schiebe es mal auf den wolkigen Himmel der nur darauf zu warten scheint dass ich auf dem Rad sitze und er die ersten Tropfen loslassen kann.
Die Fähre legt erst kurz vor 13 Uhr ab und bis zum Fährhafen Sassnitz sind es nur etwa 35 Kilometer, ich habe also Zeit. Gegen 10 starten wir alle. Ich rolle die bekannte Strecke entlang. Hoch nach Breege, über die Schabe wieder runter durch Juliusruh bis nach Glowe wo ich dann endlich von der Landstraße weg komme und es ruhiger wird. Am Spycker Schloß ist das Wetter immer noch eher so meh. Der Himmel reißt heute wohl nicht mehr auf und es ist auch eindeutig zu kühl für August. Bis auf ein paar wirklich fiese Kopfsteipflasterstraßen und Feldwege läuft alles glatt. Rügen ist halt nicht für Fahrräder gebaut worden.
Da ist er auch schon, der Fährhafen Sassnitz/Mukran. Ich rolle an der Abfahrt für den Kraftverkehr vorbei und peile erstmal das Terminal für Fußgänger an. Das stellt sich natürlich als falsch heraus aber nicht bevor ich mein Fahrrad angeschlossen, die 3 Etagen hoch und über die Fußgängerbrücke zur Info gelaufen bin. Also alles wieder zurück, den Berg wieder hoch gekurbelt und eine von den 10 Spuren für die Brummis ausgesucht. Hier erfahre ich dass die Tickets wesentlich billiger sind wenn man sie online kauft, wofür es jetzt aber wohl zu spät ist. Egal. Ich habe Ticket, eine Anweisung wo ich mich anstellen soll, und werde gerade so richtig nervös.
Cool. Spur 14 wird zuerst auf die Fähre gewunken. Das ist die Spur auf der ich mit 2 anderen bepackten Radlern stehe. Jetzt geht’s los! Ich rolle den beiden einfach hinterher. Über Metallbrücken, vorbei an winkenden Arbeitern, rein in die Fähre. Dort versuche ich dann angestrengt unauffällig den beiden anderen Radlern abzugucken wie man mit diesem verdammten Seil sein Rad sichern soll. Ernsthaft, ohne Knotendiplom bin ich hier aufgeschmissen. Ach komm, doppelter Doppelknoten muss halten. Rad ist fest, jetzt rauf auf’s Deck.
Als ich endlich einen Platz auf dem Außendeck gefunden habe, legt die Fähre auch schon ab. Keine Ahnung wie ich die ganze Zeit vertrödelt habe. Meine Laune ist jetzt definitiv am Boden. Bisher war es zu jeder Zeit problemlos möglich die Rückreise anzutreten. Der nächste Bahnhof war selten weiter als 30km weg. Doch in dem Moment als die Fähre ablegte, war das anders. Ich habe 4 Stunden Fährfahrt vor mir auf die ich keinen Einfluß habe. Über dieses Tief hilft mir Reinhardt hinweg (beim Namen bin ich mir nicht mehr ganz sicher) der sich mit an meinen Tisch setzt und mit mir ins Gespräch kommt. Vielen Dank dafür Reinhardt, du hast mir wahrscheinlich den Tag gerettet.
Als ich in Trelleborg von der Fähre rolle ist das Wetter wieder ein Stück schlechter. Regenjacke ist Pflicht. Die Fahrt bis Malmö verläuft dafür recht unspektakulär. Im Grunde sieht fast alles aus wie auch in Deutschland, nur dass ein paar Schilder eine andere Farbe haben, und dass man nix lesen kann natürlich. (Ich bin an Höllviken vorbeigefahren, hihihi) Der Höhepunkt ist dann aber umso schöner. In einem beschaulichen Wohngebiet voller Einfamilienhäuser rolle ich in Richtung Küste, biege um eine Kurve und habe plötzlich mein Tagesziel vor mir. Die Öresundbrücke. Einige wenige hundert Meter weiter, führt der Radweg direkt drunter durch. Perfekt für ein Foto.
Draußen schlafen fällt bei diesem Wetter natürlich aus. Ich habe ja keinerlei Regenschutz mit. (Hallo? Es ist August!). Die ersten beiden Hostels die ich anfahre existieren ganz einfach nicht oder nicht mehr. Als ich dann im ersten richtigen Hotel Frage wo ich mein Fahrrad unterstellen könnte, weißt mich der Herr an der Rezeption auf das Hostel an der Straßenecke hin was Google mir wohl verschwiegen hatte. „Maybe that’s more what you are looking for.“ – Da hatter Recht! Vor besagtem Hostel stehe ich kurz mit einem genauso ratlos wie ich drein blickendem Typen rum. Ich frage ihn ob das wohl der Eingang zum Hostel sei, er hofft das auch, also probieren wir es aus und werden belohnt. Nach weiteren 10 Minuten Gespräch auf Englisch stellen wir dann fest dass wir beide aus Deutschland kommen und das englische auch sein lassen können.
Da ich keine Lust auf 8-Bett Zimmer habe, „gönne“ ich mir ein Einzelzimmer. Nun ja… Dusche und Toilette auf dem Gang, Zimmer mit 2 Betten, einem Tisch und 2 Stühlen. 96€ pro Nacht. Ob das im Hotel nebenan teurer gewesen wäre? Wenigstens ist direkt untendrunter ein kleiner Supermarkt. Wurst-Brot-Käse-Obst-Schokolade. Alles rein damit! Während die Geräte und Akkupacks aufladen, überlege ich wie ich jetzt weiter mache. Wetter mies, Stimmung dahin, eigentlich will ich nach Hause. Am Ende finde ich eine günstige Fahrt mit Flixbus von Kopenhagen aus für den übernächsten Abend welche ich direkt buche. Damit verkürzt sich auch meine Strecke. Anstatt den Umweg über Helsingborg zu nehmen, werde ich mir morgen Malmö angucken und den Zug nach Kopenhagen nehmen. Dort dann noch eine Nacht bleiben, bisschen Sightseeing und abends ab zum Flixbus. Im Moment als die Mailbestätigung ankommt, ist meine Laune um ein vielfaches gestiegen. Ein toller Radreisender bin ich.
Etappe 5 | Kopenhagen
Was mir Google gestern Abend noch verraten hat: Ich habe mir mal wieder den perfekten Zeitpunkt für mein Vorhaben ausgesucht. Heute ist Pride Parade in Kopenhagen, und morgen Ironman. Die Stadt wird voll sein und die Hostels teuer. Ich freue mich riesig und beschließe schon mittags mit dem Zug rüber zu fahren um genügend Zeit für die Suche zu haben.
Doch jetzt erstmal Malmö. Das Wetter ist so super dass ich noch mal zur Brücke fahren will um ein paar Fotos zu machen. Die grobe Richtung weiß ich und so schwer kann das Ding ja nicht zu finden sein. Schließlich war ich schonmal da. Auf dem Weg dorthin noch einen Abstecher zum turning Torso gemacht und alles was dazwischen liegt wird natürlich auch gerne mitgenommen. Malmö scheint in großen Teilen sehr grün zu sein. Große Parks und weitläufige Wiesen/Grünflächen sind alles andere als selten. Ich find’s super und bei diesem Wetter natürlich erst recht.
Was außerdem auffällt ist die super Radinfrastruktur. Breite Radwege, Kreuzungen an denen man nicht wie ein Verkehrsteilnehmer 2. Klasse behandelt wird und Autofahrer die wissen dass man auch da ist. Allgemein scheint mir das miteinander im Verkehr wesentlich entspannter zu sein. Am Bahnhof ziehe ich mir meine Fahrkarte am Automaten, Schalter gibt es keine, und versuche verzweifelt irgendeine Information zur Fahrradmitnahme zu finden. Anscheinend sind wir in Deutschland damit so geschädigt dass ich es gar nicht für möglich halte dass ich mein Rad einfach so mitnehmen kann. Bis heute weiß ich nicht ob mein Rad schwarz gefahren ist oder nicht.
Und somit ist der erste zwischenmenschliche Kontakt in Dänemark auch jemand der mich kurz nachdem ich aus dem Zug gestiegen bin, fragt, ob ich für mein Rad eine Fahrkarte habe lösen müssen. Ich bin also nicht allein.
Ich falle also aus dem Bahnhof direkt in die Pride Parade. Die halbe Innenstadt scheint abgesperrt und alles ist voll mit Menschen. Noch am Bahnhof treffe ich meinen „Kumpel“ vom Hostel in Malmö wieder, welcher mir ein Hostel empfiehlt was direkt um die Ecke ist. Natürlich ist es komplett ausgebucht, wie die nächsten beiden auch. Hostel 3 oder 4 hat dann tatsächlich noch ein Zimmer frei, kostet in etwa so viel wie am Abend davor, das Zimmer ist in etwa genauso groß, dafür aber mit Bad, Dusche und Fernseher. Und das Beste: alles in einem und nicht auf dem Gang. Frühstück ist auch mit drin.
Zeit für eine kleine Erkundungstour. Es ist erst gegen 17 Uhr und somit noch genug Zeit sich ein wenig die Stadt anzugucken. Auf zur kleinen Meerjungfrau! Unterwegs nehme ich noch das Schloss Amalienborg mit – den Sitz des Königspaares. Abendessen gibt es von Burger King. Danach Zähne putzen und ab ins Bett.
Etappe 6 | durch Kopenhagen kullern
Heute geht es nach Hause und ich freue mich drauf. Das Gefühl ist seltsam, denn mit der Entscheidung das Ticket für den Bus zu buchen, kam die Lust auf die Reise an sich wieder schlagartig zurück. Somit freue ich mich einerseits auf den Bus heute Abend (weniger auf die Fahrt) aber genauso auch auf den heutigen Tag und das Erkunden der Stadt. Nach dem Frühstück packe ich wieder alles zusammen und auf geht’s.
Ich fahre erstmal nach Westen raus. Ohne groß zu planen, am Fahrradzähler vorbei, über wunderbare Radrouten die abseits vom Autoverkehr verlaufen, Brücken die nur für den Radverkehr angelegt wurden, durch Rödovre, Hvidovre und Bröndby, ein kleines Wäldchen und, als kleines Highlight, über die Cykelslangen am Hafengelände. Wieder zurück in die Innenstadt, den teuersten Cappuccino meines Lebens getrunken und die wahrscheinlich schlechteste Pizza der Stadt runtergequält. (in unterschiedlichen Lokalitäten.
Das Wetter wechselt im 10-Minutentakt zwischen prallem Sonnenschein und Starkregen mit Orkanböhen. In einem Netto stelle ich mich für 20 Minuten mit anderen wartenden unter um nicht komplett durchzuweichen. Die Pizza gibt es bei Sonne im Freisitz. Am Rathaus hab ich dann schon wieder die Regenjacke an. Es dauert noch bis der Bus kommt aber draußen bleiben ist keine Option mehr und so flüchte ich mich in den Bahnhof wo ich ein paar Stunden rumsitze und versuche mich nicht allzu sehr zu langweilen. Als der Regen endlich aufhört ist es bereits dunkel und auch stark abgekühlt, so dass ich mir eine unbeobachtete Ecke suche um meine Klamotten zu wechseln. Mit Trainingshose und Pullover sitze ich dann an der Fernbushaltestelle und warte die restlichen 2 Stunden auf den Bus.
Endlich nach Hause. Ich war nur halb so lange unterwegs wie ich eigentlich geplant hatte, und doch freue ich mich dass es „endlich“ nach Hause geht. Und kaum weiß ich dass es nach Hause geht, habe ich das Gefühl noch ein paar Tage weiterfahren zu wollen. Das ist doch bescheuert, oder?